Tschaikowski in Wiesbaden im Sommer 1870

Tschaikowsky, 30 Jahre alt. Fotografiert von Mikhail Panov in Moskau, Herbst 1870. LINK

Tschaikowski besuchte Wiesbaden im Sommer 1870. Im Juni 1870 hielt er sich bei seinem ehemaligen Schüler Wladimir Stepanowitsch Schilowski im nahen Bad Soden auf, von wo aus er mehrmals nach Wiesbaden reiste. Hier unterstützte Tschaikowski finanziell den Pianisten, Dirigenten und Komponisten Nikolai Grigorjewitsch Rubinstein, der im Casino spielte. In einem Brief vom 24. Juni / 6. Juli 1870 an seinen Bruder Anatolij Iljitsch Tschaikowski berichtete er: "War mit N. Rubinstein in Wiesbaden verabredet, fand ihn sein letztes Geld beim Roulette verlieren; aber das hinderte uns nicht, einen sehr angenehmen Tag zu verbringen. Er ist nicht entmutigt und ist überzeugt, dass er Wiesbaden nicht verlassen wird, ohne die Bank zu sprengen.“[1] Schon zu Lebzeiten Tschaikowskis wurden seine Werke in Wiesbaden aufgeführt.

1. Klavierkonzert (1879)

Das Erste Klavierkonzert und die Variationen über ein Rokoko-Thema wurden beim Festival des Allgemeinen Deutschen Musikvereins vom 24. Mai / 5. Juni bis 27. Mai / 8. Juni 1879 in Wiesbaden aufgeführt. Das Erste Klavierkonzert wurde am 25. Mai / 6. Juni 1879 aufgeführt (Solist Hans von Bülow, Dirigent Louis Lüstner). Der Rezensent der Leipziger „Neuen Zeitschrift für Musik“ schrieb dazu "Der oberflächlicheren Virtuosität werden keine Concessionen gemacht, dennoch ist das Soloinstrument glänzend bedacht, aber auch so schwer zu bewältigen, daß nach technischer wie geistiger Seite die Intention der Widmung sofort zu erkennen ist. Schon nach dem ersten Satz brach ungewöhnlicher Enthusiasmus hervor, selbstverständlich namentlich durch die eminente Wiedergabe hervorgerufen, denn auch das Orchester löste seine durch freie Behandlung der Tempi noch schwierigere Begleitungsaufgabe unter Leitung des Hrn. Capllm. Lüstner vorzüglich."[2]

Variationen über ein Rokoko-Thema (1879)

Die „Variationen über ein Rokoko-Thema“ wurden am letzten Tag des Festivals am 27. Mai / 8. Juni 1879 aufgeführt (Solist Wilhelm Fitzenhagen, Dirigent Louis Lüstner). Am 1. / 13. Juni 1879 schrieb Fitzenhagen an den Komponisten über den Erfolg beim Publikum und das hohe Lob, das Liszt seiner Aufführung und dem Werk Tschaikowskys zollte: „Mit Ihren Variationen habe ich Aufsehen erregt. Ich kam so gut an, dass ich dreimal eingeladen wurde, und nach der Andante-Variation (d-moll) erhielt ich stürmischen Beifall. Liszt sagte zu mir: 'Ich bewundere Sie, Sie haben großartig gespielt', und zu Ihrem Werk bemerkte er: 'Endlich wieder Musik'. Ich gab ihm das Klavier von „Eugen Onegin“, und er will Fantasien oder Paraphrasen für Klavier aus Ihrer Oper arrangieren...[3] Man spricht viel über Sie, das können Sie sich vorstellen. Ich habe alle Virtuosen, Geiger und Pianisten auf Ihre Werke aufmerksam gemacht, und selbstverständlich werden Sie in Deutschland sehr geliebt.“[4] Die Rezension in der "Neuen Zeitschrift für Musik" lobte Fitzenhagens Aufführung, bewertete aber die musikalischen Qualitäten von Tschaikowskis Variationen über ein Rokoko-Thema geringer als die des ersten Klavierkonzerts: "Hr. Prof. Fitzenhagen aus Moskau, der bewährte Vlccllvirtuos, der zugleich immer den Muth besitzt, sich mit Neuigkeiten vorzuwagen, hatte, ziemlich am Ende des langen Programms postiert, einen schweren Stand. Daß er die Aufmerksamkeit des Publikums dennoch in hohem Grade zu fesseln wußte, daß er trotz der großen Hitze im Saale die Reinheit der Intonation mit künstlerischer Ueberlegenheit zu wahren verstand, ergab einen neuen Beweis für die hohe Virtuosität dieses hervorragenden Künstlers. Er spielte Variationen über ein Roccocco Thema für Vlccll und Orchester von P. Tschaikowsky, dem jetzt immer mehr zur Geltung gelangenden jungen russischen Tonsetzer. Der Compositionswerth dieses Opus reichte nicht an den des Pianoforteconcerts hinan, welches einige Tage zuvor Bülow gespielt hatte, Fitzenhagen's Spiel hat es an nichts fehlen lassen, das Werk in's beste Licht zu stellen."[5]

Zeugnisse Tschaikowskis über Wiesbaden

Nach 1870 besuchte Tschaikowsky Wiesbaden nie wieder, aber noch viele Jahre später sprach er voller Begeisterung von der Stadt, die ihn einst „ganz entzückt“[6] hatte. In einem Brief vom 2. / 14. Juni 1890 an N. F. von Mekk, der sich zu dieser Zeit in Wiesbaden aufhielt, erinnerte sich der Komponist noch einmal an seinen langjährigen Besuch in dieser Stadt und schrieb auch über seine Eindrücke von der dortigen Oper und dem Orchester (welche musikalischen Werke Tschaikowsky in Wiesbaden gehört hat, ist nicht überliefert): „Ich verstehe Ihre Sympathie für Wiesbaden vollkommen, das ich auch sehr liebe. Aber ich kenne noch das alte Wiesbaden mit dem Rouletterad, wo es schwer war, einen Platz zu finden. Jetzt muss es viel freundlicher und ruhiger sein. Das letzte Mal war ich 1870 in Wiesbaden, als N. G. Rubinstein dort schrecklich beim Roulette verlor und einmal in eine verzweifelte Lage geriet, aus der ich, soweit ich konnte, von Soden (Bad Zoden - Anm. d. Red.), wo ich damals den Sommer verbrachte, zu seiner Rettung kam. Das war kurz vor dem Krieg[7], und ich erinnere mich, dass mir Wiesbaden sehr gefiel, dass es dort ein wunderbares, wenn auch bescheiden ausgestattetes Opernhaus gab, ein herrliches Orchester und allerlei Vergnügungen. Nun sollte sich die Physiognomie der Stadt durch das Verbot des Roulettes sehr verändern. Sie war nicht mehr so lebhaft, aber wahrscheinlich friedlicher.“[8]

Literatur und Links

  • ЧПСС V, XIII, XV-Б
  • ЧАПСС XVII-А ЧМ 3
  • Zur Tonkünstlerversammlung zu Wiesbaden. Vom 5. bis 8. Juni. Erster Tag // Neue Zeitschrift für Musik. 13. Juni 1879. Band 75, № 25. S. 253–255.
  • Zur Tonkünstlerversammlung zu Wiesbaden. Vom 5. bis 8. Juni. Dritter und vierter Tag // Neue Zeitschrift für Musik. 27. Juni 1879. Band 75, № 27. S. 277–280
  • Glaab W. Kurgast Tschaikowsky: Sommer 1870 in Soden am Taunus. Frankfurt am Main: Kramer, 2006.
  • Tschaikovsky Research LINK
  • Weidman, P.E. Wiesbaden. In: Enzyklopädie „Pjotr Iljitsch Tschaikowski“. LINK

Einzelnachweise

  1. CHPS V NO. 200: 226
  2. Tonkünstlerversammlung zu Wiesbaden. Vom 5. bis 8. Juni. Erster Tag 1879. In: Neue Zeitschrift für Musik, 13. Juni 1879, S. 254. LINK
  3. Liszt hat eine Klaviertranskription der Polonaise aus der Oper „Eugen Onegin“ gemacht.
  4. KAP. XVII-A CHM 3: 646
  5. Tonkünstlerversammlung zu Wiesbaden. Vom 5. bis 8. Juni. Dritter und vierter Tag 1879. In: Neue Zeitschrift für Musik, 27. Juni 1879, S. 279. LINK
  6. Brief vom 26. Oktober / 7. November 1886; CPSS XIII Nr. 3080: 482
  7. Tschaikowsky meint den Deutsch-Französischen Krieg von 1870 bis 1871
  8. CHPSS XV-B NO. 4133: 166-167