Orangerie im Aukamm
Die Orangerie im Aukammtal ist ein bedeutendes Bauwerk in Wiesbaden, das als Teil einer Gärtnerei im frühen 20. Jahrhundert errichtet wurde. Das Gebäudeensemble, bestehend aus der Orangerie selbst, einem Wohnhaus und einem Gewächshaus, ist ein anschauliches Beispiel für die Mischbauweise und den Eklektizismus in der Architektur seiner Zeit.
Geschichte
Am 2. Dezember 1899 beschloss der Wiesbadener Magistrat, dass die städtische Kurhausgärtnerei von der Viktoriastraße in das Aukammtal (Gemarkung Bierstadt) verlegt werden sollte. Dies erfolgte in Zusammenarbeit mit der Firma Gebrüder Siesmayer aus Frankfurt-Bockenheim, die auch die Pflegearbeiten in den Kuranlagen übernahm. Die Verlegung war notwendig geworden, da die bestehende Lage der Gärtnerei der fortschreitenden Villenbebauung in der Oststadt im Wege stand. Das Aukammtal erwies sich als geeigneter Standort – stadtauswärts gelegen, aber dennoch nahe genug am Kurpark.
Am 12. Juli 1900 legte die Grundstücksdeputation einen Entwurf sowie einen Kostenvoranschlag von 111.000 Mark vor, den sie als zu umfangreich empfand. Sie schlug vor, das Bauprogramm zu reduzieren und ähnliche Baumschulen in der Umgebung (u. a. in Bad Homburg v.d.H. und Darmstadt) zu besichtigen. Auf dieser Grundlage entstand ein kompakteres Bauprogramm. Die Hochbauabteilung des Stadtbauamtes erstellte am 2. Januar 1901 eine Kostenberechnung, die bereits fünf Tage später 75.000 Mark als Bausumme auswies. Der endgültige Entwurf wurde am 13. September 1901 von der Stadtverordnetenversammlung genehmigt. Im November 1901 begann der Bau, und im Sommer 1902 konnte die neue Gärtnerei an die Kurverwaltung übergeben werden.
Historische Bauakten und Pläne der Gärtnerei sind nicht erhalten geblieben – lediglich die Orangerie als zentraler Gebäudekomplex und ein schmaler, langgestreckter Baukörper, der als Pflanzengewächshaus diente, zeugen noch von der ursprünglichen Anlage. Das benachbarte Gärtnerhaus könnte auf einen Vorgängerbau mit ähnlicher Nutzung zurückgehen.
Die verwendeten Baumaterialien und der Baustil der Orangerie deuten darauf hin, dass Stadtbaumeister Genzmer der Erbauer war. Heute ist die Orangerie auf der Südseite durch einen hohen Gewächshausanbau weitgehend verdeckt. Während das Fachwerk des Zwerchgiebels heute in einem kräftigen Rot erstrahlt, entspricht der Rest der Fassade weitgehend dem ursprünglichen braunen Farbton. Da die Orangerie mit ihrer Rückseite an den Talhang gebaut wurde, tritt sie von dieser Seite kaum in Erscheinung. Um jedoch auch von nördlicher Seite ausreichend Tageslicht ins Innere zu lassen, setzte Genzmer ein schmales Fensterband in die Dachfläche ein. Traufüberstände, unterschiedlich geneigte Dachflächen und Knaufspitzen an den Traufpunkten verleihen dem großen Krüppelwalm, der die Orangerie überspannt, eine malerische Note.
Am nordöstlichen Eck der Orangerie befindet sich ein kunstvoll dekorierter, halboffener Holzschuppen aus der Erbauungszeit, dessen Laubsägearbeiten mit Kleeblattmotiven sowie der geschnitzte Stirnbrett der Giebelsparren besonders hervorzuheben sind. Ebenfalls erhalten sind die Torflügel mit ihren Beschlägen und Türgriffen. Das Innere der Orangerie besticht durch einen weiträumigen, stützenfreien Raum, der mit viel Tageslicht versorgt wurde. Ein Walmdach überspannt zudem die gegenüberliegende Ostseite eines langen, schmalen und niedrigen Zweckbaus, der ausschließlich mit dunklem Material verkleidet ist.
Architektur
Die Gärtnerei wurde im hinteren Teil des langgestreckten Aukammtals errichtet, etwa 2 km vom Kurpark entfernt und in unmittelbarer Nähe zu Bierstadt. Die erhaltenen Bauwerke sind in Längsrichtung, parallel zum Talverlauf von Osten nach Westen, angeordnet und über einen landschaftlich integrierten Weg mit der Straße verbunden.
Die Orangerie, entworfen von Genzmer, steht freistehend am nördlichen Talrand. Der Backsteinbau verfügt über ein giebelständiges Sichtfachwerk und einen rechteckigen Grundriss. An den Stirngiebelseiten befindet sich jeweils ein hohes, rundbogiges Holzportal, das den Transport großer, exotischer Pflanzen ermöglichte. Die Südseite der Orangerie, als Schauseite konzipiert, weist fünf Fensterachsen auf, die jeweils durch einen dreieckigen Fachwerkzwerchgiebel betont werden. Die großen rechteckigen Fensteröffnungen reichen bis über das Dachgesims, um den Innenraum bestmöglich mit Tageslicht zu versorgen. Die ursprüngliche Verglasung wurde jedoch später durch Glasbausteine ersetzt, was das Erscheinungsbild beeinträchtigt hat. Um zusätzliches Licht von Süden zuzuführen, wurden in die Zwerchgiebel Oberlichter eingebaut.
Die Außenarchitektur der Orangerie besticht durch ihren polychromen Charakter. Die Fassaden kombinieren roten Backstein mit hellem Putz. Oberhalb des Sockels verläuft ein breites, helles Putzband, das sich um die südlichen Längsseiten des Gebäudes zieht.
Würdigung
Mit der Orangerie erhielt die Gärtnerei im Aukammtal ihr repräsentativstes Bauwerk. Die freistehende Orangerie, ideal ausgerichtet mit dem größten Fensteranteil nach Süden, fügt sich harmonisch in die landschaftliche Umgebung ein. Interessanterweise entschied sich Felix Genzmer für einen massiven Fachwerkbau anstelle einer damals populären Glas-Eisen-Konstruktion. Dank des hohen Fensteranteils auf der Südseite konnten ein angenehmes Raumklima und niedrige Heizkosten realisiert werden.
Die eklektizistische Architektur der Orangerie vereint Elemente des schlichten englischen Landhausstils des 19. Jahrhunderts – erkennbar an der typischen Aneinanderreihung dreieckiger Fachwerkquergiebel – mit modernen neugotischen Elementen wie symmetrischer Gliederung und Dachknäufen. Der kunstvoll gestaltete Walmdachbereich und die Laubsägedekoration an der Ostseite verleihen dem Gebäude zudem einen Hauch von Schweizer Stil. Die sparsame, aber abwechslungsreiche Gestaltung mit hellen Putz-, Backstein- und Sichtfachwerkpartien spiegelt Genzmers Vorliebe für Polychromie wider und prägt das malerische Erscheinungsbild der Orangerie nachhaltig.
Heutige Nutzung
Die Orangerie Aukamm ist ein inklusiver Begegnungsort in Wiesbaden, der für Vielfalt, Nachhaltigkeit und eine offene Gesellschaft steht.
Im Jahr 2003 übernahm die DBS gGmbH – ein Tochterunternehmen des Gemeinnützigen Vereins für Behindertenhilfe Wiesbaden und Rheingau-Taunus-Kreis e. V. – das rund 2,5 Hektar umfassende Gelände der ehemaligen Stadtgärtnerei. Mit Unterstützung der Stadt Wiesbaden, des Landeswohlfahrtsverbands Hessen und der Aktion Mensch wurden die Gebäude restauriert und das Umfeld neu gestaltet.
Heute beherbergt das ehemalige Palmenhaus einen Verkaufsshop und ein Café, das als kultureller Mittelpunkt der Orangerie dient. Zudem bietet der Standort Raum für kulturelle Veranstaltungen sowie Themengärten und einen Schulgarten, in denen Kinder die Natur entdecken können. Die Orangerie Aukamm legt als anerkannter Inklusionsbetrieb großen Wert auf Barrierefreiheit, faire Arbeitsplätze und Bildungsmöglichkeiten für Menschen mit Beeinträchtigung. In enger Zusammenarbeit mit den facettenwerk Werkstätten und dem Bereich facettenwerk Bildung wird ein verantwortungsvoller Umgang mit Mensch und Natur gewährleistet.
Einzelnachweise